Ein launiger Beitrag zum Anti-Aging-Anxiety-Coaching
Vor ein paar Tagen wurde ich siebzig. Keine Tragödie. Es gibt ein Leben jenseits der siebzig. Sogar ein Berufsleben, sofern man halbwegs fit ist, Bock hat, und noch alle Tassen im Schrank. (Aber das gilt ja für ALLE Altersklassen).
Warum erzähle ich das?
Das Maßband.
Ein jüngerer Bekannter hatte sich für unser letztes Zusammentreffen eine kleine Überraschung ausgedacht. Er zog -surprise,surprise- unvermittelt ein Maßband aus der Tasche, das er auf 80 cm zurückgeschnitten hatte und spannte es vor meinen Augen auf. „Die Länge des Maßbands entspricht mehr oder weniger der durchschnittlichen Lebenserwartung eines Mannes heute“, sagte er, „rund 80 plusminus“, und forderte mich auf, das Maßband bei 70 abzuschneiden. Ein abgedroschener Scherz zwar, für Anti-Aging-Anxiety-Coaching charmant daneben, aber ich tat ihm den Gefallen. Die abgetrennten 70 cm ließ ich zu Boden fallen, den verbliebenen 10 cm-Stummel hob ich leicht an und erwiderte: „So, und jetzt wirst du mir sicher erklären, dass das in etwa die Strecke an Jahren ist, die mir bei aller Voraussicht noch bleibt“. „Genau“, kam zurück, und „mach was draus!“
Erst überlegte ich, ob es sich überhaupt lohne, zu reagieren. (Mein Caveman-Ich drängte mich zwar, ihm in die Fresse zu hauen, aber ich bin schließlich ein Brave Man). Nachdem mein Bekannter noch etwas Zeit hatte, antwortete ich ihm. Wollt ihr wissen, was?
1. Wer erst im geschilderten Moment zu der Erkenntnis kommt, dass er aus den bisherigen 70 Jahren nichts gemacht hat, der …..
a. …..kann es aus meiner Sicht auch gleich bleiben lassen.
b. …..riskiert, die vermutete Restzeit mit Selbstvorwürfen und in tiefer Verzweiflung und Depression ob all der vergeudeten Zeit und der verpassten Chancen zu verbringen. Dann wäre der Maßbandtrick ein echter Bärendienst.
c. …..sollte sich dessen nach knapp 9/8 seiner potenziellen Lebenszeit auch nicht mehr bewusst werden. Was für ein Desaster, was für ein Frust!
d. …..riskiert, falls er seinem Leben auf der letzten Strecke doch noch ein wenig Pep verleihen will, aus vermeintlicher Zeitnot in hektischen Aktivismus zu verfallen, wobei ihm erst recht alles den Bach runter gehen wird.
Deshalb mein Tipp an den Freund: Schieb dir das Maßband in den Ar…beitskittel! Außer, dass du damit die Panik deines eigenen, noch etwas jüngeres Egos, vor der eigenen Endlichkeit ein wenig anästhesierst, trägt dein Scherz keinen Mehrwert bei.
Drei Kochtöpfe.
2. Viel wichtiger als Argument Nr.1: In meiner Vorstellung ist das Leben gar nicht linear!
„Wie das?“ Wenn ich damals in Mathe halbwegs gut aufgepasst habe, müsste die Erkenntnis gelten, dass es im runden, gekrümmten Kosmos gar keine echte Linearität gibt, weil jede Linie letztendlich in der Kreisform endet. Eine Linie z.B., die genau vor meiner Haustür beginnt und immer exakt auf demselben Breitengrad bleibt – kommt letztlich wieder vor meiner Haustür an. Aus der Gegenrichtung.
Ich bat meinen Bekannten, sich drei Kochtöpfe mit unterschiedlichem Umfang vorzustellen, klein, mittel, groß, und jeden der Töpfe sinnbildlich für ein Leben anzunehmen. „Ja, und?“ Ich stellte ihm dar, dass das Leben in meiner Vorstellung rund sei, wobei die absolute Länge der Strecke gar nicht so relevant ist. Für mich ist das Leben kreisförmig in sich abgeschlossen und endet wie ein guter Roman, ein gutes Theaterstück, eine gute Reportage da, wo es begonnen hat. Im Tod eben. Also: Im Nicht-Dasein.
„Aha? Und jetzt?“ Ich will damit sagen, dass viel wichtiger als die Länge der Strecke, also des Umfangs, die Qualität dessen ist, was sich im Topf (des Lebens) befindet. Egal, als wie groß der sich am Ende herausstellt! Wenn ich in einem dieser Töpfe etwas zubereite, muss ich darauf achten, dass ich gute Zutaten verwende und sie beim Köcheln in Bewegung halte, denn davon hängt ab, ob ich nachher mein Essen genießen kann oder nicht. Egal wie groß der Topf ist, der Inhalt muss pure Qualität sein. Das ist alles. Und, um einem potenziell selbstverhindernden Einwand vorzugreifen, Lebensqualität hängt nicht unbedingt am Geld.
„Und wenn du dann beim Abschmecken merkst, dass alles doch zu bitter, sauer, salzig, oder was auch immer geraten ist?“. Dann nützt ein Löffel Honig auch nichts mehr.
Der Coach in mir schenkt euch zu seinem Geburtstag die Ermahnung: Achtet auf Sinnhaftigkeit und Qualität!